In Ihrer Danksrede zum Erhalt des Anne-Klein-Frauenpreises fordert Natascha Nicklaus die Abschaffung des §219a StGB – und ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch.
Liebe Jury, liebe Unterstützer*innen,
ich fühle mich sehr geehrt, zusammen mit Nora und Kristina heute hier den Anne-Klein-Frauenpreis verliehen zu bekommen.
Ganz besonders berührt und bewegt es mich, als Lesbe den Preis einer lesbischen Stifterin, einer Vorkämpferin zu erhalten. Ich habe Anne Klein nie kennen gelernt. Sie war ziemlich genau 20 Jahre älter als ich. Aber ich bin mir sehr bewusst, was ihr Wirken für meine Lebensrealität bedeutet.
Meine Praxispartnerin Nora und ich sind beide in der feministischen Frauenbewegung verwurzelt. Deswegen stand unsere Entscheidung, uns nicht zu beugen, nie zur Debatte. Es war einfach keine Option, auf das Angebot der Staatsanwaltschaft einzugehen, das Verfahren einzustellen, wenn wir nur den Eintrag von der Website nähmen.
Permanente Auseinandersetzung mit dem Thema in allen Facetten gehört dazu.
Wir wollen nicht, dass es in Deutschland zwei einzelnen Männern gelingt, aus unserer Sicht selbstverständliche Inhalte im Internet dauerhaft zu verhindern. Und damit Frauen* Informationen vorzuenthalten - durch vielfache Anzeigen, unter Ausnutzung eines aus der Zeit gefallenen deutschen Gesetzes. Es sind zwei Einzelne, die anzeigen.
Aber wir stünden heute nicht hier, wenn wir nicht eine so breite Unterstützung erfahren hätten. Ideelle Unterstützung, großzügige finanzielle und ganz praktische – in Form von Demos, Kundgebungen und Informationsveranstaltungen: von Feminist*innen in Kassel und bundesweit, langjährigen und jungen, vom Kasseler Frauenbündnis, von vielen unserer Patient*innen und von den Mitfrauen* des AKF – des Arbeitskreises Frauengesundheit, einem bundesweiten Netzwerk. In diesem Netzwerk ist es vor allem – aber nicht nur – unserer Fachgruppe Gynäkologie im AKF. Danke, dass ihr alle da seid.
Und wir stünden nicht hier, wenn es Kristina und Nora nicht gelungen wäre, durch unermüdliche Präsenz seit jetzt mehr als 1 1/2 Jahren die öffentliche Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu lenken. Permanente Auseinandersetzung mit dem Thema in allen Facetten gehört dazu und ungezählte Interviews: wie oft hat Nora in der laufenden Sprechstunde mal kurz ein Telefoninterview gegeben. Und wie oft waren vor oder nach der Sprechstunde Fernsehteams in unserer Praxis. Ich glaube, Nora hat keine einzige Interview- oder Fernsehdreh-Anfrage abgesagt, auch keine einzige Bitte, auf einer Demo oder Veranstaltung zu sprechen. Bei Kristina ist es ähnlich, nur habe ich das nicht so hautnah mitbekommen. Dafür danke ich euch beiden.
Und das alles, weil der §219a StGB aus der Zeit vor dem Internet als gängiges Informationsmedium stammt. Weil Gerichte finden, dass eine Information im Internet, die naturgemäß öffentlich zugänglich ist, dem Paragraphen entspricht, der öffentliches Ankündigen unter Strafe stellt.
Das Vorenthalten von Informationen verhindert keinen einzigen Schwangerschaftsabbruch!
Heutzutage wissen ungewollt Schwangere* in Deutschland, dass Schwangerschaftsabbrüche möglich sind. Sie recherchieren als erstes im Internet. Sie müssen schon sehr findig sein, um wenigstens ein paar passende Antworten auf ihre Fragen zu finden. Und oft genug verstehen sie überhaupt nicht, warum sie keine Informationen finden können.
Da werden auch die angekündigten Listen der Bundesärzte*kammer nur bedingt helfen. Listen gibt es schon in Berlin und Hamburg – aber wie komisch ist das? Da stehen Ärzt*innen auf der Liste, mit Adresse und Telefonnummer. Und wenn frau* dann mühsam die passende Internet-Seite der Praxis gefunden hat, dann steht da kein Wort von Schwangerschaftsabbruch? Oder nur ein Hinweis, aber keine detailliertere Information? Wie oft versuchen Frauen*, an Informationen zu kommen, bis sie ahnen, dass das System hat?
Wissen Sie, wie schwierig es ist, telefonisch Informationen einzuholen? Wie schwierig es überhaupt ist, telefonisch in Praxen durchzukommen?
Eine Frau*, die sich zum Schwangerschaftsabbruch entscheidet, muss innerhalb kurzer Zeit 4-5 Termine organisieren: die Beratung in der Beratungsstelle – die Untersuchung bei einer Frauenärzt*in – ggf. den persönlichen Gang zur Krankenkasse, um die Kostenübernahme zu beantragen – den Abbruch selber – und eine Kontrolluntersuchung. Das alles womöglich in einer psychischen Ausnahmesituation und in einem System, das Informationen vorenthält, und in einem Land, wo der Weg zu einer Ärzt*in, die Schwangerschaftsabbrüche durchführt auch mal über 100 km weit sein kann.
Nicht akzeptieren kann ich Schwangerschaftsabbrüche in späteren Wochen aufgrund systemimmanenter Hürden.
Das Vorenthalten von Informationen verhindert keinen einzigen Schwangerschaftsabbruch! Es erhöht nur die medizinischen Risiken!
Durch dieses Vorenthalten von Informationen müssen Frauen* länger als nötig ungewollt schwanger sein, was einerseits psychisch aber auch körperlich belastend ist. Je nach Zeitverlust haben sie dann nicht mehr die freie Auswahl an Methoden. Aus ärzt*licher Sicht ist es hochproblematisch, dass ein Schwangerschaftsabbruch mit längerer Schwangerschaftsdauer komplikationsträchtiger wird. Das kann – nebenbei – auch nicht im Sinne unseres Gesundheitssystems sein, denn die Kosten für Komplikationen nach Schwangerschaftsabbrüchen tragen wiederum die Kassen.
Dabei möchte ich ausdrücklich betonen, dass eine Frau*, die Zeit für ihre persönliche Entscheidungsfindung braucht, sich diese Zeit nehmen soll. Nicht akzeptieren kann ich Schwangerschaftsabbrüche in späteren Wochen aufgrund systemimmanenter Hürden.
Wir stehen hier dafür, dass ungewollte Schwangere* jederzeit einfach und dezentral im Internet alle notwendigen Informationen finden können. Damit sie gut informiert schon in die Beratung gehen können. Damit sie mit allen notwendigen Papieren, aufgeklärt und wissend, was sie erwartet, zum Schwangerschaftsabbruch gehen können. Wir stehen dafür, dass ihnen respektvoll begegnet und ihre Entscheidung respektiert wird.
Für die Abschaffung des §219a StGB – und für ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch.
Vielen Dank.